Die „Frauenfrage“

Bertha von Suttner

Die „Frauenfrage“

Die Frauenfrage ist bei Bertha von Suttner eng verknüpft mit der gesamten Entwicklung der Frauenbewegung. Punkt für Punkt setzt sich Bertha von Suttner mit den tief verwurzelten Vorurteilen gegenüber Frauen auseinander, die zumindest unterschwellig – bis heute nachwirken: Bildung und Erziehung waren für sie die wichtigsten Komponenten, der Schlüssel für die Frauenbefreiung. Denn nur dann wären die Frauen in der Lage, auch einen Beruf auszuüben, am öffentlichen Leben teilzunehmen und überdies finanziell autonom zu werden.

Jedoch gingen die Forderungen Bertha von Suttners und die der unabhängigen Frauenbewegungen weit über die materielle Basis hinaus. Die Frauen wollten die Verwirklichung der Menschen- und Bürgerrechte für Frauen, die Selbstverwirklichung, die Emanzipation des Individuums sowie die Überwindung der traditionellen Rollenbilder. Bertha von Suttner nahm die Frauenfrage als notwendige Voraussetzung und Teil des gesellschaftlichen Fortschrittes wahr.

Sie fordert die Öffnung der Bildungswege, eigene berufliche Tätigkeit und eigenes Vermögen für Mädchen und Frauen. Sie forderte das Wahlrecht für Frauen (das in Österreich und in Deutschland erst 1918 eingeführt wurde). Sie setzte sich für das Scheidungsrecht ein – eine im katholischen Österreich sehr gewagte Forderung (in Österreich erst 1977 eingeführt).

Suttners Widerstand gegen die Ungleichbehandlung von Frauen in der Bildung und der Arbeitswelt beginnt bereits als Schriftstellerin, lange vor dem Welterfolg des Romans Die Waffen nieder! (1889). Die Schriftstellerin Suttner nutzte Romane und Erzählungen, um soziale Geschlechterdifferenz und damit einhergehende Benachteiligung von Frauen und Mädchen zu thematisieren. Sie nahm Fragestellungen auf, die den Ausschluss von Frauen aus der Wissenschaft thematisierten und die „gläserne Decke“ für Frauenkarrieren anprangerten. Sie setzt sich positioniert mit geschlechterspezifischen Ungleichheiten und feministischer Bündnispolitik auseinander.

Die politischen Forderungen Bertha von Suttners knüpften an die ab Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden Frauen- und Friedensvereine an. Frauenorganisationen existierten im deutschsprachigen Teil der Habsburgermonarchie seit der Revolution 1848/1849 und fokussierten vor allem auf eine Verbesserung der Bildungs- und Arbeitschancen für Frauen sowie Arbeiterinnenrechte. In ihren Romanen knüpft sie an die Kämpfe von Frauen um politische Teilhabe und Gleichberechtigung an. Sie zeigt sichtbare und unsichtbare Barrieren für Frauen, geschlechtsspezifische Rollenzuschreibungen und Erwartungen an Frauen.

Bildung und Wissensvermittlung haben bei Suttner immer eine politische Dimension. Gemeinsam mit vielen Mitstreiterinnen ihrer Zeit fordert sie die Aufhebung der Geschlechtergrenzen im Bildungssystem und ermutigt Beispiel gebend gegen die Benachteiligung von Frauen in Bildungssystemen einzutreten. Zu ihren Weggefährtinnen zählen z.B. Marianne Hainisch (Direktorin der ersten Gymnasien für Mädchen) und Rosa Mayreder oder Auguste Fickert (u.a.m.). Sie fordern die Zulassung für Mädchen und Frauen an Schulen und Universitäten für alle. Neben der Zulassung zum Universitätsstudium für Frauen werden auch sozial-reformerische Initiativen nach dem ersten Weltkrieg in die allgemeine Volksbildung, heute Erwachsenbildung, übergeführt.

Von der anonymen Autorin zur Bestseller-Autorin

Suttner erkannte und benannte soziale Ungleichheit von Frauen. Besonders ungleichbehandelt wurden u.a. auch intellektuelle Frauen – Suttner selbst bediente sich aus guten Gründen mehrerer Pseudonyme, da sie die Vorurteile und Ignoranz gegenüber weiblichen Autorinnen nur zu gut kannte. Mit dem Namen B. Oulet verschleierte sie ihr Geschlecht und den Essay Das Maschinenzeitalter veröffentlicht sie 1889 als von Jemand. Sie wollte erreichen, dass ihr Werk auch von politisch interessierten Männern gelesen wird.

„Es war keinesfalls Feigheit das Motiv für das Pseudonym, sagt sie in ihren Memoiren (1909), sondern in den wissenschaftlichen und philosophischen Themen herrscht so viel Vorurteil gegen die Denkfähigkeit von Frauen“, schreibt sie im Vorwort zur 3. Auflage des Maschinenzeitalters (1899), indem sie sich als Autorin des Essays outet.

In ihrem literarischen Frühwerk das Maschinenzeitalter steht die Frage, welche Faktoren der Freiheit von Frauen im Wege stehen. Sie analysiert die Befunde zur Asymmetrie des Geschlechterverhältnisses durch Herkunft (Klasse), Ehe und Mutterschaft oder Ausschluss von Bildung zur Festschreibung des „Geschlechtscharakters“ der Frau. Suttner benennt aber auch innere Barrieren, die Frauen in ihrer Unfreiheit gefangen halten. In vielen ihrer Romane skizziert sie schließlich eine notwendige Loslösung aus der Unterwerfung und Konturen eines unabhängigen Lebens. Suttners human-evolutionistische Ethik denkt den Menschen zwischen dem Streben nach einem aktiv gestaltenten Lebensentwurf und einem passiven Verharren in der vorgefundenen Situation.

Die Überwindung dieser Barrieren hängt auch bei Suttner zum einen von der Veränderlichkeit gesellschaftlicher Rahmenbedingungen ab, insbesondere der Mitsprache in Politik und Öffentlichkeit (Wahlrecht), von der Ermöglichung der freien Berufswahl/-ausübung für Frauen. Zum anderen müssten Frauen aber auch aktiv gegen ihre „Freiheitsfurcht“ kämpfen, die durch das Ausräumen äußerer Barrieren noch lange nicht besiegt ist. Denn das eigene Leben in die Hand zu nehmen, ist eine belastende Verantwortung und die Freiheit nicht nur zu begehren, sondern auch aktiv zu suchen, ist ein Wagnis. Suttner ruft die Frauen „zur Menschwerdung“, zur „Humanisierung der Frauen und Männer“ auf. Im Maschinenzeitalter hält Bertha von Suttner ein Plädoyer für mehr Gerechtigkeit den Frauen gegenüber. Sie meint weiter, dass die Frauen die Gerechtigkeit selbst verlangen müssten.

Die Historikerin Laurie Cohen zitiert aus Bertha von Suttners letztem „Brief an die deutschen Frauen“ (1911): „Frauen müssten lernen, Verantwortung zu übernehmen und aufhören, sich selbst zu unterdrücken. Unter Frauen findet man die eifrigsten Hüterinnen der Frauenhörigkeit, die härtesten Gegnerinnen der Emanzipation. (…) nur die fortschrittlich gesinnten Frauen, nur solche, die sich zu sozialem Denken erzogen haben, die die Kraft haben, sich von dem Banne tausendjähriger Institutionen (Annahme Kirche und Militär) zu befreien und werden die Kraft aufbringen, dieselben zu bekämpfen“ (siehe Cohen 2017: 190).

Weibliche Selbstbestimmung und Sexualität

Auf der Ebene von weiblicher Selbstbestimmung und Sexualität scheute sie sich nicht, heikle Tabuthemen anzuprangern: sie spricht über die herrschende Prüderie in Kombination mit der weiblichen Sexualität.

„Liebe und Ehe waren nämlich diejenigen Dinge, in welchen die scheinbare Verhimmelung und tatsächlich Niederdrückung des Weibes am deutlichsten zum Ausdruck kam. In der Liebe gab´s für die Männer Rechte und Freuden, für die Frauen Pflichten und Verbrechen. Im Allgemeinen lag ein tiefer Sündenfluch, eine tiefe Verachtung auf diesem seligsten der Triebe. Aber der ganze Fluch lastet auf den Frauenhäuptern, die ganze Verachtung hatte das schwache Geschlecht zu tragen“ (Bertha von Suttner, zit. in Götz 1996).

Für diese inhumane Situation machte Bertha von Suttner die Kirche verantwortlich: „Im christlichen Moralsystem stehe zwar die Liebe ganz obenan, aber damit sei nur die Gottes- und Nächstenliebe gemeint. Erotik und Sexualität würden geleugnet und tabuisiert“.

Sie wandte sich in ihren Schriften insbesondere dagegen, in der Liebe nur den geistigen Teil zu akzeptieren, den körperlichen jedoch als verwerflich abzulehnen. Konsequent lehnte sie öffentlich arrangierte Ehen ab und setzt sich für das Recht der Frauen auf Scheidung ein – eine für die damalige Zeit sehr gewagte Forderung. In Österreich z.B. wurde dieses Recht erst 1977 eingeführt.

Den öffentlich-politischem Redeverbot von Frauen zum Trotz brach sie das Schweigen und leistete aktiv Widerstand gegen inhumane soziale Verhältnisse und tritt für Frauenrechte, gegen arrangierte Ehen und für das Scheidungsrecht ein. Sie schreibt über Tabu-Themen wie Sexualität, sie richtet sich als Rednerin an eine männlich dominierte Zuhörerschaft. Als Aristokratin tritt sie für Abrüstung, internationale Schiedsgerichte und bedingungslosen Pazifismus ein.

 

von Dr. Adelheid Pichler

Quellenangaben:

Bertha von Suttner. Das Maschinenzeitalter. Zukunftsvorlesungen über unsere Zeit. Nachdruck der 3. Auflage. Von 1889. Düsseldorf, Zwiebelberg 1983, S. 91–137.
Cohen, Laurie. 2017: „Jedem die Hälfte vom Unrecht gebührt, der es zu hindern die Hand nicht rührt!“. Bertha von Suttners Engagement in der Friedens- und Frauenbewegung. Bertha von Suttners (letzter) Brief an die deutschen Frauen, Hrsg. Vom Frauenbund der deutschen Friedensgesellschaft, Mai 1914. In: Swarthmore College Peace Collection, Bertha von Suttner Collected papers (CDG-B Karton 2) zit. in Cohen 2017: 190.
Christian Götz. Die Rebellin Bertha von Suttner. Botschaften für unsere Zeit. Dortmund 1996, Sachbuch