Nachbericht - Suttnertage 2025
Nachbericht - Suttnertage 2025
Am 14. und 15. November 2025 trafen sich über 100 Teilnehmer*innen am Campus St. Pölten, um sich dem Wandel von Trauerkulturen zu widmen. Das junge Symposium der Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten brachte Menschen zusammen, die Trauer begleiten, erleben und erforschen – mit dem Ziel, Theorie und Praxis zu verbinden und gemeinsam neue Wege der Trauerbegleitung zu gestalten.
Die Veranstaltung wurde initiiert von Prof. Dr. Peter Pantuček-Eisenbacher (Gründungsrektor der BSU 2018–03/2025, Caritasdirektor Hannes Ziselsberger BA und Gerti Ziselsberger, Leiterin der Kompetenzstelle Trauer der Caritas St. Pölten. Vorbereitet und geleitet wurde das Symposium von Assoc. Prof. Dr. Michael Wininger (interimistischer Rektor, BSU), Gerti Ziselsberger, Veronika Prüller-Jagenteufel (Theologische Referentin, Caritas St. Pölten), Bernd Rohrauer BA MA MA (Senior Lecturer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Praktikumskoordination, Studienbereich Soziale Arbeit, BSU) und Diana Lettner (PR und Universitätskommunikation, BSU).
Rund 60 Personen aus Hochschule und Caritas organisierten und begleiteten die Tagung, die von Christoph Riedl (Generalsekretär für Solidarität, Kommunikation & Soziales, Caritas St. Pölten) und Diana Lettner moderiert wurde.
Bildnachweis: Vor der Eröffnung der Suttnertage 2025 versammelten sich Studierende, Lehrende, Programmkomitee, Ehrengäste, Sponsor*innen und Referent*innen in der Aula auf der Feststiege am Campus St. Pölten © Max Peternell.
Suttnertage 2025 - "Trauerkulturen im Wandel"
Trauern wir heute schon anders?
In unterschiedlichen Austausch- und Diskussionsformaten wurden Wissenschaft und Praxis miteinander verbunden: In vier Keynotes, zehn Workshops und drei Panels mit je drei Kurzvorträgen wurde der Frage nachgegangen, wie sich Trauerformen derzeit verändern und was das für eine gute Trauerbegleitung bedeutet. Bereits in den Grußworten wurde deutlich, wie viele Aspekte das Thema Trauer hat und wie wichtig die Zusammenschau von Theorie und Praxis ist.
Grußworte zum Auftakt
Trauer beeinflusst Rituale, Begleitung und gesellschaftliche Normen. Florian Krumböck, Abgeordneter des Landes Niederösterreich – in Vertretung der Landeshauptfrau, bekannte sich dazu: „Politik muss für gute Rahmenbedingungen sorgen, damit Menschen in Trauersituationen gut begleitet werden können.“
Caritasdirektor Hannes Ziselsberger nannte neben den neuen Formen von Abschied und Erinnerung auch das, „was bleibt: das große Geheimnis des Lebens in seiner Verletzlichkeit, Schönheit und Tiefe.“
Dass Trauer selbst ein „Wandlungsprozess ist, in dem es anders gut werden darf“, betonte Gerti Ziselsberger, Leiterin der Kompetenzstelle Trauer. Sie freute sich, „dass Trauer in diesen Tagen am Campus St. Pölten in der eigens gestalteten Aula als TrauerRaum einen so prominenten Platz in der Öffentlichkeit bekommt. Denn die leider oft so schamhaft versteckte Trauer ist kein Problem, sondern eine Lösung.“
Peter Pantuček-Eisenbacher, Gründungsrektor der BSU (2018-03/2025), betonte in seinen Grußworten die Bedeutung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Trauer und Tod, denn: „Eine Gesellschaft, die nicht fähig ist, über die eigenen Fehler zu trauern, ist eine Gefahr für die Welt.“
Michael Wininger, interimistischer Rektor der BSU, stellte die Tagung in die brisante gesellschaftliche Spannung „zwischen Verdrängung und Hysterisierung bzw. zwischen dem Bedürfnis nach Halt und dem Zwang zur Selbstinszenierung. Auch bei der Trauer gibt es die Spannung zwischen immer mehr Privatisierung und der Zur-Schau-Stellung, vor allem im digitalen Raum.“
Vier Keynotes: Trauer verstehen, Wandel beachten und neue Zuversicht vermitteln
01 | Wie verstehen wir Trauer
Prof.in Dr.in Michaela Pfadenhauer, Soziologin an der Universität Wien wies darauf hin, dass unsere Gesellschaft kulturell immer vielfältiger wird und es daher immer mehr Begegnungen gibt, die von wechselseitiger Befremdung geprägt sind. Auch Trauer und Trauerbegleitung sind davon betroffen. „Wer nun in der Begleitung von Trauernden mit fremd scheinenden Phänomenen konfrontiert wird, sollte zunächst genau hinsehen und sich dem aussetzen, was man nicht versteht.“
02 | Der Wandel von Trauerkulturen. Zwischen Schicksalsergebenheit und Unsterblichkeitshoffnung
Prof.in Dr.in Teresa Schweighofer, Juniorprofessorin für Praktische Theologie an der Humboldt-Universität Berlin, betrachtete die Rolle frei gestalteter Rituale, die inzwischen mehr als 40% aller Begräbnisse ausmachen. Die Vorstellungen vom Leben nach dem Tod sind sehr plural: Einige feiern das gelebte Leben, andere betonen bleibende Verbindungen, Wiedergeburt oder Ruhe nach Strapazen. Schweighofer plädierte für „Foren für Austausch und Reflexion über Vorstellungen und Hoffnungen bezüglich des Jenseits.“
03 | Miese Tage und neue Zuversicht
Elke Kohl, Kinder-, Jugend- und Familientrauerbegleiterin, berichtete aus der Praxis: „Trauerbegleitung schafft den Kindern den Raum, sich den verschiedenen Facetten der Trauer zu widmen und ihren persönlichen Weg der Trauer zu gehen.“ Hier brauche es „keine Ratschläge oder Durchhalteparolen, sondern ungeteilte Aufmerksamkeit und das Mit-Aushalten der Situation und der Emotionen.“ Stabilität, praktische Unterstützung und „mitmenschliche Normalität“ seien entscheidend.
04 | Das Soziale der Trauer
Schlusspunkt der Tagung war eine vierte Keynote von PD Dr. Thorsten Benkel (Akad. Oberrat für Soziologie, Passau). Er deutete Trauer als soziales Geschehen, mit dem Menschen andere dazu aufrufen, ihnen in der Situation des Verlusts beizustehen. Die versteckte, verschämte Trauer sei dagegen eine Fehlform, die auf dem kulturell bedingten Tabu beruhe, vor anderen Menschen Schwäche zu zeigen. Die Sozialisierung, auf die ausgedrückte Trauer abzielt, berge dagegen die Chance, mit Hilfe anderer wieder in die Alltagswelt zurückkehren zu können. „Die soziale Funktion von Trauer liegt demnach darin, anzuzeigen, dass hier jemand Hilfe braucht.“ Trauer werde sozial geradezu verlangt, aber auch geregelt. So dürfe sie nicht zu lange dauern, um der Wiederherstellung der Normalität nicht dauerhaft im Weg zu stehen. Das Soziale der Trauer drohe verloren zu gehen, warnte Benkel, wenn Menschen in postsozialer Einsamkeit leben und/oder das Trauern ganz ins Private abgeschoben würde. Trauer würde ihren Sinn verlieren. Nicht zu trauern aber wirke in jedem Fall weiter desozialisierend. „Dazu sollten wir es nicht kommen lassen.“
Zwischen Ritual und Bewegung: Zehn Workshops über Trauer in Praxisfeldern
In zehn Workshops wurden zentrale Praxisfelder reflektiert: Der Bogen reichte von Erfahrungen aus der Trauerbegleitung mit Kindern und der Online-Trauerberatung über die Betroffenheit von frühem Kindsverlust zur Begleitung behinderter Menschen in ihrer Trauer, die sich oft ungewohnt ausdrückt. Stark besucht wurde der Workshop, der konkrete Trauer- und Abschiedsrituale als wertvolle Begleiter auf dem Weg der Trauer vorstellte. Auch das Thema Suizid, der Zusammenhang von Scham und Trauer nach traumatisierenden Erfahrungen oder die speziellen Herausforderungen öffentlicher Trauerrituale (wie z.B. nach dem Amoklauf in Graz) wurden in Workshops behandelt. Als besonders stärkend erlebten Teilnehmer*innen Workshops zur eigenen Ressourcenpflege als Trauerbegleiter*in bzw. die Begegnung mit dem Programm von SeelenSport®, das Trauer durch Bewegung ausdrückt und bearbeitet.
Drei Panels mit je drei Kurzvorträgen
Panel 1: „Du trauerst anders?“ – Trauer und Identität
Panel 2: „Reale und virtuelle Räume des Trauerns“
Panel 3: „Nicht nur Tod und Trauer: Traueranlässe im Lebenslauf“
Panel 1 fasste unter der womöglich erstaunten Frage „Du trauerst anders?“ drei Kurzvorträge zum Themenbereich „Trauer und Identität“ zusammen: Der Psychotherapeut Erich Lehner fragte nach der Trauer von Männern, der Sozialarbeiter Džemal Šibljaković B.Ed.MA. deutete die Wut mancher radikalisierter migrantischer Jugendlicher als verschlüsselten Ausdruck von Trauer. „Lassen wir den Kids ihre Wut, aber lassen wir sie nicht allein damit.“ Die Lebens- und Sozialberaterin Dr.in Leona Mörth-Nicola lieferte einen Überblick über die „vielen Gesichter der Trauer“, denn je nach Kultur oder Religion, sozialer Prägungen oder Gender finden sich ganz unterschiedliche Ausdrucksformen der Trauer. Ihnen allen gilt es, vorurteilsfrei und anteilnehmend zu begegnen. Moderation: Dr. Peter Pantuček-Eisenbacher
Panel 2 spannte einen Bogen über „Reale und virtuelle Räume des Trauerns“: vom Friedhof über das Internet zum eigenen Körper. Der Theologie und Fachmann für Liturgie Mag. Martin Sindelar führte auf den Friedhof 2.0 als Orte der Begegnung und Naherholungsgebiet sowie zu den Fragen, die sich mit verschiedenen Formen der Urnenbestattung in Wald, Fluss oder dem eigenen Haus und Garten stellen. Der Ethiker Dr. Jean-Daniel Strub teilte seine Erfahrungen aus einer großen Schweizer Studie zum „Tod im digitalen Zeitalter“. Von Online-Kondolenzbuch und digitalen Gedenk-„Orten“ reicht die Palette der durchaus auch ambivalenten Phänomene bis zum KI-generierten Avatar aus Bildern, Audio- und Videoaufnahmen von Verstorbenen. Seine erste ethische Forderung war jene nach einem Recht und der realen Möglichkeit, solche Anwendungen der technischen Möglichkeiten für sich selbst auszuschließen. Trauerbegleiterin Beatrix Buchinger stellte „SeelenSport“® vor, ein Trainingsprogramm, das hilft, Trauer als einen integrierten Prozess von Seele, Geist und Körper zu verstehen und deren Wechselwirkungen als Unterstützung im Trauern zu nutzen. Moderation: Dr.in Veronika Prüller-Jagenteufel
Panel 3 beleuchtete „Traueranlässe im Lebenslauf“, also Momente und Erfahrungen abseits von Sterben und Tod, die Trauer auslösen und bei deren Bewältigung Trauerprozesse helfen können. Die Psychoonkologin Carina Györök MSc sprach von Menschen, für die „seit der Diagnose alles anders ist“. Bei chronischen oder lebensbedrohenden Krankheiten gilt es oft schon vor dem Tod Abschied zu nehmen: von Menschen, Tätigkeiten, Hobbys und ganzen Lebensbereichen. Der Therapeut Mag. Heinz Teufelhart ging den Verlusterfahrungen Jugendlicher nach, deren Depressionen oft auch als Trauerreaktion verstehbar sind. Dr.in F. Tuba Aydin-Mentschl, ebenfalls Psychotherapeutin, beschäftigte sich mit der nicht so seltenen Erfahrung von Eltern, dass ihre erwachsenen Kinder nicht mit ihnen in Kontakt sind bzw. es gar nicht sein wollen. Begleitung könne ihnen helfen, „die Tür zumindest einen Spalt offen zu lassen, damit sich wieder eine Beziehung entwickeln kann“. Moderation: Assoc. Prof. Mag. Dr. Michael Wininger
3 x 3 Minuten am Roten Sofa
Studierende der Studiengänge Soziale Arbeit und Inklusion stellten in einem moderierten Gespräch ihre Einblicke von den Vorträgen der Panels vor. Jede Präsentation war ein kleiner Mikrokosmos: Erkenntnisse, Antworten, persönliche Beobachtungen. In diesem kompakten Format wurde einmal mehr sichtbar, wie vielfältig Trauerarbeit sein kann. Anschließend öffnete sich das Format unter der Rubrik „Was es noch zu sagen gibt“: Das Plenum wurde Teil des Gesprächs. Teilnehmende teilten Gedanken, persönliche Eindrücke und Zitate – Antworten auf die Impulse der Studierenden, Erweiterungen und neue Perspektiven.
TrauerRaum und Büchertisch
Am Campus St. Pölten verwandelte sich die Aula tagsüber in einen TrauerRaum: einen Ort, an dem man innehalten und sich der eigenen Gedanken und Gefühle bewusst werden konnte. Ein Stationenweg, gestaltet und betreut von der Kompetenzstelle Trauer und Mitarbeiter*innen des Mobilen Hospizdienstes der Caritas, lud dazu ein, sich in eigenem Tempo und in Ruhe mit den Themen Abschied, Tod, Schuld, Versöhnung und Dankbarkeit auseinanderzusetzen.
Ergänzend dazu stellte die Buchhandlung Kral St. Pölten einen Büchertisch mit Fachliteratur zu den Tagungsthemen sowie mit Publikationen der Vortragenden bereit. Download Literaturliste
Come Together – Abendveranstaltung
Am Abend wurde der TrauerRaum zum „Come Together“ – ein Rahmen, in dem Gespräche und Begegnungen in entspannter Atmosphäre stattfanden. Ehrengast Bürgermeister Matthias Stadler, Hannes Ziselsberger und Michael Wininger sprachen über Trauerrituale, die Zusammenarbeit der beteiligten Organisationen und darüber, warum Trauer und neue Formen der Trauer uns alle betreffen und ein so komplexes Thema sind. Gleichzeitig wurde der erste Tag resümiert und ein Ausblick auf den zweiten Tag gegeben.
Der Abendempfang fand mit freundlicher Unterstützung von Landeshauptfrau Johanna Mickl-Leitner und Bürgermeister Matthias Stadler statt. Für das leibliche Wohl sorgten Brötchen von der Caritas Werkstätte Furth und der diesjährige Hauptstadtwein „Bertha“ vom Bioweingut Urbanihof. Durch das Gespräch führte Christoph Riedl.
Fazit
Zum Abschluss der Suttnertage 2025 dankten Hannes Ziselsberger und Michael Wininger dem gesamten Team für die erfolgreiche Organisation der Veranstaltung.
Hannes Ziselsberger wünschte sich achtsame Begegnungen zwischen Menschen als herrschaftsfreien Raum: „Solche Räume konnten wir hier eröffnen – und sie waren heilsam.“
Michael Wininger bedankte sich für die gute Zusammenarbeit, das hohe Niveau theoretischer Reflexion im Einklang mit persönlichen Erfahrungen und gelebter Menschlichkeit.
Ausblick
Die nächsten Suttnertage finden am 13. und 14. November 2026 unter dem Titel Conference on Social Mentoring & Suttnerday statt. Die Tagung wird ausschließlich auf Englisch abgehalten. Wenn Sie daran interessiert sind, zögern Sie nicht, sich für unseren Newsletter anzumelden – Ende Jänner verschicken wir unser Save the Date mit ersten Details zu Programm und Anmeldung. Hinweis: Die Newsletter-Anmeldung finden Sie am Ende dieser Seite.
Die Suttnertage 2025 waren eine Kooperation der Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten, der Caritas St. Pölten – Kompetenzstelle Trauer, einer Einrichtung, die von der Caritas gemeinsam mit der Diözese St. Pölten und dem Lazarus-Orden betrieben wird. Die Tagung wurde zudem unterstützt von der Stadt St. Pölten, dem Land NÖ, der Sparkasse NÖ Mitte West, dem Katholischen Bildungswerk der Diözese St. Pölten sowie dem Lazarus-Orden.