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Moritz Meister, MSc
Titel | Vertiefungsseminar: Analyse digitaler Dispositive: Qualitativ-kulturpsychologische Zugänge zu Apps und KI |
Untertitel | Masterstudium Psychologie, Universität Wien |
Typ | Gastvortrag |
Texte | Generative KI-Programme wie ChatGPT, Claude oder Gemini durchdringen unseren digitalen Alltag. Die Interaktion zwischen Mensch und Maschine geht dabei in einem anderen Modus vonstatten, als wir es sonst von Apps und Computerprogrammen gewohnt sind: Statt vordefinierte Felder anzutippen und auszufüllen, interagieren wir mit KIs in einem offenen kommunikativen Raum – und erhalten z.T. unvorhersehbare Antworten (wobei herstellerseitige System-Prompts sowie Biases in den Trainingsdaten mitbedacht werden müssen). Kontingenz und Plastizität als Eigenschaften neuronaler Netze konstituieren eine Interaktionsform, die eher an die zwischenmenschliche Kommunikation erinnert als an die gewohnte Bedienung technischer Apparate.
Unseren analytischen Blick schärfen wir zunächst an digitalen Artefakten aus der ‚Vor-KI-Zeit‘, wobei wir mit qualitativen (d.h. verstehend-interpretativen) und kulturpsychologischen Methoden arbeiten. Mit ihnen lässt sich etwa die Art und Weise rekonstruieren, wie eine App ihre User*innen adressiert, d.h. als welche Subjekte sie sie anspricht und behandelt (Light et al., 2018; Schulz, 2019; Meister & Slunecko, 2021). Dies öffnet uns Möglichkeiten einer kulturpsychologisch fundierten Kritik der digitalen Gegenwartsgesellschaft (siehe auch Charim, 2022).
Anschließend wollen wir uns den neuen methodischen Herausforderungen stellen, die die Existenz generativer KI-Programme aufwirft. Deren offene Bedienungssituation lädt, psychodynamisch gesprochen, zu Projektionen und Übertragungen ein (Kaerlein, 2024). Statt if-then folgt sie dem Prinzip as-if (vgl. Zeavin, 2021). Wir wollen dies als Ausgangspunkt für eine kulturpsychologische Erkundung der vielfältigen Umgangsformen mit KI nehmen. Zudem laden wir zur kommunikativen Selbsterfahrung ein (die in einem Forschungstagebuch autoethnographisch dokumentiert und reflektiert werden sollte).
Dabei geht es uns nicht primär um die viel diskutieren Fragen nach einem Bewusstsein der KI, sondern eher um ein Spiel mit unterschiedlichen, interaktiv hergestellten Beziehungsformen und Rollenzuschreibungen, die im Lauf einer offenen Konversation entstehen können. Je nachdem, wie man eine KI adressiert, wird sie in unterschiedliche Rollen versetzt (z.B. Assistent*in, Expert*in, Lehrer*in, Therapeut*in, Freund*in, höheres Bewusstsein, Gottheit usw.). Im psychologischen Verstehen solcher Prozesse ist hohe Sensibilität für kommunikative Nuancen gefragt (Tonfall, Habitus, Machtdynamik usw.). Wir möchten dazu anregen, sich bewusst auf einen kreativ-spielerischen Prozess mit einem erst noch zu definierenden Gegenüber einzulassen (Harth, 2021; Machado de Oliveira, 2025).
Statt nur Problemlöseaufgaben zu delegieren (Denken durch KI), geht es uns um einen Dialog, der beide beteiligten Seiten anregen soll (Denken mit KI) (vgl. Bajohr, 2025). Verantwortung und Sorge wollen unter diesen Bedingungen neu ausgehandelt werden. Ebenso lassen sich psychotherapeutische Dialogformen neu reflektieren – stellen sie doch eine häufige Weise da, wie KI von Menschen genutzt wird (vgl. Rabeyron, 2025).
Außerdem interessieren uns Arten des Denkens über KI. Deren Verbreitung steht in einer Reihe mit medial-technologischen Revolutionen der Kulturgeschichte – Alphabet, Buchdruck, Radio, Fernsehen und Internet – die je zu gravierenden sozialen wie psychischen Umbrüchen geführt haben (vgl. Slunecko, 2008). Gegenwärtig beobachten wir meist, dass KI in kapitalistischen Zusammenhängen eingesetzt wird und dabei zahlreiche Dilemmata verschärft: die Extraktion ökologischer Ressourcen, die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, militärisches Wettrüsten, eine kognitive und affektive Verarmung der Lebenswelt (z.B. „AI slop“) und eine Zerstörung demokratischer Mündigkeit (vgl. Bösel, 2022; Schütze, 2024). Angesichts der KI als dem technologischen Hauptereignis der Gegenwart stehen Psycholog*innen also vor einer Reihe von Herausforderungen, für deren gemeinsame Reflexion das Seminar einen fruchtbaren Raum bieten möchte.
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Vortragende | Meister Moritz |
Beteiligung | Slunecko, Thomas: Lehre Meister Moritz: Lehre |
Datum, Zeit und Ort | Datum: 2025-10-01 - 2026-03-03 Ort: Wien, Österreich |
URL | https://ufind.univie.ac.at/de/course.html?lv=200232&semester=2025W |